Der Konflikt um den anglophonen Teil Kameruns

Das „A Better World Waisenheim“ befindet sich in dem Ort Mbwengi, im sogenannten anglophonen Teil Kameruns. In diesem Teil schwelt seit Jahrzehnten ein Konflikt, der in den letzten Jahren an Intensität zugenommen hat. An dieser Stelle wollen wir euch kurz die aktuelle politische Lage darstellen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit des Waisenheims und die Leben der Kinder hat.

Was bedeutet eigentlich „anglophon“?

Kamerun hat eine bewegte, koloniale Vergangenheit. Von 1901 bis 1916 war das Land eine deutsche Kolonie. Im Jahr 1919, nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg, wurde Kamerun zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Großbritannien verwaltete fortan den Nordwesten des Landes, Frankreich den Rest des Landes (etwa 4/5 der Fläche). Anfang der 1960er Jahre wurden beide Teile unabhängig und es entstand eine föderale Republik Kamerun. 1972 entstand schließlich der Einheitsstaat, die Vereinigte Republik Kamerun. Die lange Zeit unter kolonialer Verwaltung hat die beiden Landesteile voneinander entfremdet – es entstand ein Konflikt um das anglophone und das frankophone Erbe der Kolonialzeit: um die Verwendung der Sprache, aber auch um die eigene Identität.

Der Wunsch nach Unabhängigkeit

Seit der Unabhängigkeit Kameruns und der Schaffung des Einheitsstaates gibt es immer wieder Autonomiebestrebungen des Anglophonen Teils (der auch Südkamerun genannt wird), in dem sich auch das Waisenheim befindet. Im Jahr 1999 rief die Organisation „Nationalrat Südkameruns“ die Unabhängigkeit „Ambazonias“ aus – die Bezeichnung für den neu zu schaffenden Staat. Der kamerunische Präsident Paul Biya hat die Organisation aufgrund der separatistischen Bestrebungen verboten. Die Menschen im Anglophonen Teil fühlen sich vor allem im Bildungssystem, der Justiz und im Alltag von der Zentralregierung in Yaoundé, dem ehemals frankophonen Teil, benachteiligt und diskriminiert.

Die aktuelle Situation

Seit 2016 hat sich der Konflikt zwischen separatistischen Bewegungen des anglophonen Teils und der Zentralregierung verschärft. Es ist ein bürgerkriegsähnlicher Konflikt entstanden, der sich abseits der internationalen Öffentlichkeit abspielt. Zunächst begann der Konflikt mit Streiks von Lehrer*innen und Rechtsanwält*innen, die gegen die zunehmende Frankophonisierung des Bildungs- und Justizsystems protestierten. Hierbei ging es um die Verdrängung der englischen Sprache in beiden Bereichen sowie der Einsetzung französischer Lehrer*innen in den Schulen. Rasch schloss sich auch die lokale Bevölkerung an und es kam zu Protesten. Die kamerunische Regierung reagierte repressiv und versuchte, die Proteste zu unterdrücken – auch durch den Einsatz von scharfer Munition. Die Militärpräsenz im anglophonen Teil wurde zudem erhöht. Es gründete sich das zivilgesellschaftliche Cameroon Anglophone Civil Society Consortium (CACSC), das in den Dialog mit der Regierung trat um die Einrichtung eines föderalen Systems zu erwirken. Die Gespräche verliefen jedoch ohne Erfolg. Führende Mitglieder des CACSC wurden Anfang 2017 verhaftet und des Terrorismus und Hochverrats bezichtigt. Darüber hinaus schaltete die Regierung für drei Monate das Internet im anglophonen Teil ab, um die Koordination der Proteste zu unterbinden.

Seit 2016 will die Regierung mit repressiven Maßnahmen die Einheit Kameruns beibehalten, was wiederum zu einer Radikalisierung separatistischer Bewegungen im anglohonen Teil führt. Bewaffnete Milizen liefern sich Gefechte mit dem kamerunischen Militär – beide Seiten sind an willkürlichen Massakern gegenüber Zivilist*innen beteiligt. Der Abbruch der Gespräche zwischen CACSC und der kamerunischen Regierung hat zu einer Gewaltspirale geführt. 2020 war das bislang blutigste Jahr des Konflikts (https://www.newframe.com/the-worlds-most-neglected-conflict/).

Eine humanitäre Krise – Hilfe dringend benötigt

Die Hauptleidtragenden des Konflikts sind die zivile Bevölkerung und vor allem die Kinder. Die NGO International Crisis Group schätzt, dass der Konflikt bislang 3.000 Opfer gefordert hat und 600.000 Menschen auf der Flucht sind (https://www.crisisgroup.org/africa/central-africa/cameroon). Das Kinderhilfswerk UNICEF ergänzt, dass mehr als 80% der Schulen im anglophonen Teil geschlossen sind und mehr als 855.000 Kinder nicht mehr zu Schule gehen können (https://dgvn.de/meldung/der-vergessene-konflikt-kamerun-droht-der-buergerkrieg). Separatistische Milizen sehen die Schulen als verlängerten Arm der Zentralregierung, blockieren sie und greifen die Schulgebäude, sowie Lehrer und Schüler an.